Kasachstan

Das erste Mal fühle ich mich so richtig weit weg von zu Hause. Eigentlich habe ich nur einen See überquert, und doch hat sich vieles verändert. Schon erstaunlich, dass man nach dem Überqueren einer Grenze – eigentlich einer gedachten Linie in der Landschaft – so oft ganz andere Menschen trifft, mit anderen Meinungen, Religionen oder Werten. Auch das Äußere der Menschen unterscheidet sich mittlerweile ziemlich von den Menschen meiner gewohnten Umgebung. Ich komme immer tiefer nach Zentralasien hinein. Gleichzeitig erscheine ich für alle anderen dann wohl auch immer europäischer.

Die Radler am Hafen, die gerade aus Usbekistan kommen, haben mir ein paar Tipps bezüglich der Strecke dorthin gegeben, und mich gewarnt mindestens für zwei Tage Wasser zu kaufen.

Da ich nicht mehr in die Stadt möchte, sondern die kühlen Abendstunden zum radeln nutzen möchte, und nach so langer Zeit auch etwas auf Entzug bin, fahre ich nur bis zum nächsten Dorfladen. Mein Fahrrad wird mit fast 9 Liter Wasser beladen, zusätzlich noch etwas Pasta zum Essen. Dann noch zur Tankstelle, da meine Benzinflasche leer ist. Die wollte ich eigentlich in Baku füllen, aber durch das Hetzen zur Fähre ist das dann auf der Strecke geblieben.

Das Gesicht der Leute, wenn man mit dem Fahrrad zur Zapfsäule fährt, ist immer köstlich 😀 Tanken läuft hier so, dass man erst drinnen bezahlt und der Tankwart dann entsprechend auffüllt.

Mein nun 10 kg schwereres Rad fährt sich trotzdem ziemlich gut, nur bei Löchern in der Straße bin ich nun extrem vorsichtig, um Taschen und Träger nicht unnötig zu belasten. Zum Glück hat die Straße aber, sobald ich mich auf dem „Highway“ außerhalb Stadtreichweite befinde, WBF 0 (das heißt, sie ist nahezu perfekt asphaltiert und sauber, tatsächlich habe ich bis jetzt noch kein einziges Schlagloch gesehen).

Ich bin begeistert, als ich „wilde“ Pferde sehe, und als ich dann etwas weiter sogar Dromedare (oder Kamele?) grasen sehe, haut es mich fast vom Rad. Wie geil ist das denn! Die laufen hier einfach in der Gegend rum.

Die umgebende Landschaft tut ihr eigenes dazu. Ich bin total begeistert. Noch dazu gibt es einen tollen Sonnenuntergang, mit der Stadtsilhouette im Vordergrund.

Leider trüben Schmerzen in der Kniekehle die Freude etwas, nach nicht mal 20 Kilometern Fahrt. Sind das die neuen Schuhe? Oder die lange Zeit Pause? Ich fange an, die Pedalposition der Klickschuhe neu einzustellen, verstelle den Sattel, aber es hilft nichts. Nach jeder Pause fängt der Schmerz sofort an sich wieder neu aufzubauen, bis es so stark ist, dass ich anhalten muss. Mist! Dabei ist es weniger der Schmerz selbst, als eher die Sorge, ob ich das in den Griff bekomme, was mich bedrückt.

Nachdem die Sonne aber nun schon untergegangen ist, suche ich mir erstmal einen Schlafplatz. Das ist einfach: Einem beliebigen kleineren Weg, der senkrecht von der Straße wegführt soweit folgen, bis die Lautstärke der Autos auf ein Minimum reduziert ist. Dort dann das Zelt aufbauen. Und auch das ist einfacher, denn ich spare mir das Außenzelt, was hauptsächlich Regenschutz, aber auch Sichtschutz ist, und bei kälterer Witterung noch etwas Wärme drinhält. All das brauche ich hier nicht. Im Gegenteil, ich genieße, dass die Luft etwas durchziehen kann und das Mondlicht hereinscheint. Auch den Schlafsack spare ich mir, er dient nur als Kopfkissen.

Am Morgen zieht eine Schafherde vorbei, begleitet von einer Person in signalorangener Jacke und Sturmhaube mit Sehschlitz. Sehr seltsame Figur. Unsere Kommunikation beschränkt sich auf ein stummes Winken, als sie in einiger Entfernung vorbeiläuft, und ein weiteres Winken, als ich aufbreche.

Heute schaffe ich nur drei Kilometer, bis die Schmerzen wieder da sind. Gibt’s doch gar nicht! Ich hatte das schon zwei Mal in der Türkei, wo ich es auf das Fahren in Sandalen zurückgeführt hatte, und da war es am nächsten Tag wieder gut. Gedanklich sehe ich mich schon trampen, bis in die nächstgrößere Stadt in Usbekistan, um dann zu schauen wie und ob es weitergeht.

Aber ich gebe noch nicht auf, verstelle den Sattel ein weiteres Mal, und wechsel von den Schuhen auf (nun auch Klick-) Sandalen, gönne mir etwas Salzwasser *brrrr*, was gegen Krämpfe helfen soll, da ich nicht wirklich weiß was das Problem ist. Und ne Schmerztablette gibt es obendrauf. Die Straße fällt ein wenig ab, und auf einmal geht es ganz gut. Ich bin guter Dinge! Und genieße die Landschaft. Es ist zwar nur Wüste oder Steppe aber diese fasziniert mich. So anders, als alles was ich bisher kenne.

Ein tolles Gefühl bis hierher gefahren zu sein, und hier fahren zu können. Die Temperatur lässt sich überraschend gut aushalten, aber die Wasservorräte schwinden ziemlich schnell. Bestimmt 1 Liter pro Stunde. Dann geht es etwas berauf, und ich muss schieben, obwohl die Steigung gering ist, aber mein Bein spüre ich doch noch.

Als ich dann oben im Schatten eines Toilettenhäuschens sitze (da nichts anderes da ist), hält ein Laster, dessen Beifahrer rauspringt, und eine Colaflasche in den Kühler entleert. Kurz darauf fängt es unter dem Laster zu plätschern an, überkochendes Kühlerwasser? So sitze ich eine ganze Zeit lang mit meinen neu gewonnen kasachischen Freunden, und beobachte sie, wie sie hin und wieder zur offenen Motorhaube laufen, Druck aus dem Kühlerkreislauf entlassen, neues Wasser einfüllen, aber die meiste Zeit einfach nur telefonieren und rumsitzen. Zwischendurch hält auch ein anderer Laster an, unter dem es auch plötzlich ziemlich plätschert.

Da der Schatten immer geringer wird, fahre ich irgendwann weiter, nur um in einem Picknickhäuschen etwas später meine Isomatte auszurollen und einige Zeit zu ruhen. Auch hier halten überhitzte Autos an. Und ich entdeckte sogar eine Rampe, für Autos, anscheinend gibt es hier öfter mal Probleme mit den Vehikeln.

(Wer findet den Fehler im Bild?)

Mein Wasser reicht gerade so bis zur nächsten Einkaufsgelegenheit. Nicht mal 24 Stunden. Und zuletzt hatte es mindestens 40°C. Da tut die kühle Limo gleich noch mal so gut. Nach einer weiteren Pause geht es frisch aufgetankt weiter.

Auch ein kleiner Ort hat das Recht auf ein Selfie!

Die nächste Pause mache ich in einem Bushäuschen, als sich ein Hirte zu mir gesellt. Es kommt mir vor, als spräche hier jeder Russisch, bis auf einen! Ok, ein paar einzelne Worte kann ich mittlerweile und auch, dass ich kein Russisch kann, kann ich mittlerweile sagen ;D Etwas peinlich ist, dass ich seit Anfang an ein Russisch Lehrbuch mit spazierenfahre, in das ich noch kein einziges Mal geschaut habe! Aber es passiert ja auch so viel!

Immerhin verstehe ich, dass er mich fragt woher ich komme, und wohin ich möchte. Und ob ich alleine fahre: „Adin?“ Das heißt „eins“ und wohl auch „alleine“, vermute ich zumindest. Der Rest der Unterhaltung geht über das „OhneWörterBuch“, und das erstaunlich gut. Er erklärt mir, dass ihm die Herde auf der anderen Straßenseite gehört und, dass es Schafe und Ziegen sind, und er sogar Kamele oder Dromedare besitzt. Er erkundigt sich, ob ich im Markt in der Stadt war, wo ich mein Wasser gekauft hatte. Und meint besorgt, dass die nächste Stadt erst wieder 60 km entfernt ist. Als ich eine meiner Taschen öffne, wo eine Wasserflasche drin ist, und ich dann nach und nach auf alle anderen Taschen zeige, ist er beruhigt. Die Unterhaltung geht noch ein bisschen weiter, bis er dann wieder zu seinen Schafen muss. Als ich auch weiter möchte, hält gerade noch ein Auto an, deren Insassen Selfies machen möchten, und wieder die obenstehenden Fragen stellen 😀 Insgesamt sind die Menschen aber eher zurückhaltend, ganz anders, als die in Aserbaidschan.

Heute gibt es auch wieder einen atemberaubenden Sonnenuntergang. Erst mit reitenden und Staub aufwirbelnden Pferden im Vordergrund, und als diese die Straße überqueren und verschwinden, entdecke ich Kamele am Horizont! Man muss aber dazu sagen, dass ich die bisher nur in Stadtnähe gesehen habe, und immer mit Schild um den Hals.

Die Zeltplatzsuche läuft wie den Tag zuvor, da könnte ich mich dran gewöhnen. Und als ich dann am Horizont einen Laster fahren sehe und nichts höre, mache ich mir kurz ernste Sorgen um meine Ohren. Es ist tatsächlich nichts zu hören. Kein Vogelzwitschern, keine Grillen, kein Blätterrascheln, gar nichts. Erst als ein in der Nähe „grasendes“ Pferd schnauft, merke ich, dass meine Ohren noch funktionieren. Und plötzlich höre ich auch den Laster, aber erst, als er sich schon wieder von mir entfernt.

Hier zu stehen, und nichts zu hören, ist schon faszinierend. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mal nichts gehört habe. Selbst im Bett zu Hause, hört man doch meist noch irgendwelche Autos, oder das Brummen des Kühlschrankes aus der Küche.

Und warum höre ich Autos und Laster erst, wenn sie links von mir aus sind, und nicht am nähesten Punkt zu meinem Zeltplatz? Ich dachte erst, der Wind. Aber es ist nicht windig. Vielleicht liegt es daran, dass links von hier hinter der Straße am Horizont noch ein paar Hügel zu sehen sind, die den Schall reflektieren. Die Autos auf der rechten Seite scheinen dagegen auf dem Horizont zu fahren.

Ich traue mich kaum, den Kocher anzuwerfen und die Stille damit zu zerstören. Aber irgendwo muss die Energie zum Weiterfahren ja herkommen und mein Bein soll sich regenerieren. Immerhin habe ich irgendwie 80 Kilometer geschafft heute.

Bevor ich mich schlafen lege, kommen mich noch ein paar neugierige Kamele besuchen, die aber ziemlich bald weiter ziehen, wahrscheinlich um auch noch die letzten Grashalme hier aufzustöbern und zu vertilgen.

2 Kommentare zu „Kasachstan“

  1. Hallo Florian,

    du hast so viel geschafft! Wunderbar! Kasachstan! Holly!
    Fährst du dann direkt von hier nach China oder nimmst du den langen Weg durch Ozbekistan, Bakistan, Indien, Laos usw. ? Wenn du immer so schnell fährst, dann wirst du schon Ende dieses Jahr in China ;D

    Viele Grüße

    1. Hey Go,
      ich werde wahrscheinlich gar nicht durch China fahren 🙁 Geplant ist erst mal weiter durch Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan und dann schaue ich weiter.
      Viele Grüße
      Flo

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