Eigentlich wollte ich den Beitrag damit beginnen, dass ich nun Muskelkater im Handgelenk hätte, vom vielen Winken. Dann ist mir eingefallen, dass das wahrscheinlich gar nicht möglich ist.
Die Aserbaidschaner, denen ich begegne sind viel „offensiver“ als die Georgier, die ich kennengelernt habe. Überall wird mir zugewunken, gehupt, gerufen und ich komme mit dem Grüßen und Winken kaum hinterher. Mittags fahre ich durch einen kleinen Ort, in dem offensichtlich gerade die Schule aus ist. Von allen Seiten schallt es „Hello! Hello!“ Eine ganze Klasse klatscht mich im vorbeifahren mit den Händen ab.
Landschaftlich ist es dagegen ziemlich karg. Und der Muskelkater in der Wade schlägt nochmal zu, das merke ich in der Regel am zweiten Tag nach der Belastung (wovon eigentlich???) am meisten. Trotzdem schaffe ich es irgendwie bis zum Abend 60 km zu fahren. Am Ziel finde ich einen wirklich tollen Zeltplatz:

Plan war, das Zelt so aufzustellen, dass der Baum morgens Schatten spendet und ich ausschlafen kann. Hat auch funkioniert, das Foto habe ich morgens aufgenommen! Dafür können die Vögel hier alle Weckrufe, die man sich nur so vorstellen kann. „Piep Piep“, „Pfeif“, „Krächz“, „Kuckkuck“, „Kickerikie“. Bis um 9 oder 10 Uhr halte ich noch stand, dann haben sie mich endlich aus dem Zelt gelockt. In meiner Verzweiflung habe ich schon versucht im Zelt in die Hände zu klatschen um sie zu vertreiben, aber das hat gar nichts genutzt, eher im Gegenteil!
Nachdem ich die Ohrenkneifer aus dem Zelt geschüttelt habe und wieder auf der Straße bin, werde ich unzählige Male zum Cay eingeladen, von Männern, die vor ihren Häusern, oder Werkstätten sitzen.

Hier sitze ich gerade mit Orhan und seinen Freunden. Er schreibt mir auch seine Telefonnummer auf, wahrscheinlich für den Notfall. Denn verstehen kann ich sie leider nicht, bis auf ein paar Sätze mithilfe der Übersetzungsapp.
[Anmerkung: Das Zensieren ist vielleicht etwas albern, aber ich habe sie vergessen nach Erlaubnis zu fragen, wollte die Situation aber trotzdem gerne veranschaulichen ohne irgendjemands Persönlichkeitsrechte zu verletzen. ]
Würde ich bei jeder Einladung anhalten, käme ich sicher nicht mehr weit! Kurz nachdem ich wieder auf dem Rad sitze, winkt mich nämlich schon der Nächste herbei.
Mittags suche ich mir ein schattiges Plätzchen unter ein paar Bäumen am Straßenrand um etwas Müsli zu essen. Drei Kerle kommen an, natürlich neugierig, was ich mache, wo ich herkomme etc. Eigentlich wollte ich erst mal in Ruhe essen, aber so ist das hier nun mal. Nachdem sie alle Selfies mit mir und dann auch noch mit meinem Rad geschossen haben, verschwinden sie aber wieder. Ich bleibe noch sitzen und ruhe mich aus, als sie später schon wieder erscheinen. Sie fragen sich bzw. mich was ich für ein Handy habe und einer macht Gesten, ob er denn mal mit meinem Rad fahren könne. Nein, das ist doch zu viel! Das endet nur damit, dass ich einen Aserbaidschaner verarzten muss und anschließend ein neues Rad brauche ;D Zum Glück fragt er aber nicht mehr nach und ich beginne zusammenzupacken. Sie helfen mir. Als ich meinen Müll in eine Tüte packe, deuten sie mir, ihn einfach auf den Boden zu werfen. Kommt gar nicht in Frage! Ich kann es erst nicht fassen. Später wird mir aber klar, dass ihnen das Stück Land wohl gehört, und sie einfach nur meinen, dass sie das später selbst wegräumen. Hoffe ich zumindest.

Total interessant, was hier so alles rumfährt.



Ein Junge winkt mir zu und bedeutet mir anzuhalten (wie eigentlich die meisten Leute). Diesmal bin ich aber tatsächlich sogar ziemlich froh, nicht angehalten zu haben, denn aus dem Augenwinkel sehe ich noch einen tropfenden Kuhkopf, der dort an einem Haken hängt. Vielleicht bin ich da als Westeuropäer etwas verweichlicht, trotzdem erspare ich mir den Anblick lieber.

Abseits der Straße gibt es die meiste Zeit aber nicht so viel zu entdecken.

Nachmittags stehe ich dann vor der Frage, ob ich die nächste Stadt noch durchquere, oder ob ich hier irgendwo mein Zelt aufstelle. Ich entscheide mich mangels schönen Plätzen für die Stadtdurchquerung, was, da immerhin 300.000 Einwohner, mindestens 20 extra-Kilometer für heute bedeutet.
An der Kreuzung, an der die Umgehungsstraße abgeht ist eine Autobahnpolizeistation. Ein Polizist zeigt auf seinen Kopf und sieht mich dabei an. Erst denke ich tatsächlich, er macht sich Sorgen um meinen Sonnenschutz. Meinen Hut habe ich ja in der Tasche. Ich winke ihm fröhlich zu und fahre weiter. Ein paar Minuten später hält mich ein Polizeiauto an. Es ist der „Hut-Zeiger“ mit einem Kollegen. Wo ich denn hinwolle. „Gendscha“ sage ich, und weiter „Hotel“ (klingt sicher besser als wild-campen). Wieder deuten sie auf den Kopf. Ich krame den Hut heraus (ich war tatsächlich so naiv!), aber das stellt sie nicht zufrieden. Jetzt wird es mir klar. Die Warnweste! Ich krame und krame und irgendwann liegt der komplette Inhalt meiner Kleidungstasche auf der Straße. Ich bedeute ihnen einen Moment zu warten, denn die Weste muss ja hier irgendwo sein und wird sie zufriedenstellen. Er fragt ob ich Alkohol getrunken habe. Habe ich natürlich nicht, aber bei meinem Anblick kann ich ihm das wohl nicht übel nehmen. „You will be fined“ („Sie müssen eine Strafe zahlen“) sagt er nun. Ich müsse einen Helm tragen (hätte er doch auch früher sagen können, dann hätte ich mir das Suchen gespart!). Daraufhin stelle ich die Suche ein und versuche ihm zu erlären, dass ich ja ein Fahrrad fahre, kein Motorrad (das kann ja nur ein Missverständnis sein!). Aber nix zu machen. 100 Dollar soll ich zahlen. Sein Kollege (der Fahrer, der gar kein Englisch kann) fängt an, einen Block hervorzukramen und darauf zu schreiben. Ich stelle mich erst mal blöd und behaupte das Geld nicht zu haben. Ok, dann solle ich eben in der nächsten Stadt zur Bank gehen. Ein bisschen habe ich doch noch die Hoffnung, dass sie mich so fahren lassen, und so erkläre ich ihnen, dass ich in der Stadt gleich einen Helm kaufen würde (obwohl es mich wundern würde, dort einen auftreiben zu können). Mir fällt auf, dass der „Block“ auf dem der Kollege schreibt, nur das Handbuch des Polizeiwagens ist, und auch, dass er nur so tut, als schriebe er.
Nach ein bisschen hin- und her meint er, sie würden keinen Strafzettel schreiben, aber ich solle ihnen jetzt 50 Dollar zahlen. Ich biete ihnen 20 Dollar an (obwohl ich eigentlich denke, über’s Ohr gehauen zu werden, aber jetzt aus der Situation raus möchte). Ob ich das direkt zahlen könne, fragen sie. Ich hoffe, einen 20er zu haben, denn Wechselgeld würde ich jetzt bestimmt keines bekommen. Aber ich habe Glück und sie verabschieden sich mit einem Handschlag.
Ich habe echte Zweifel an dieser Helmpflicht, den letzten Radfahrer mit Helm habe ich glaube ich irgendwo an der Donau gesehen. Andererseits hat der Polizist ja direkt von Anfang an auf den Kopf gedeutet, sogar im Vorbeifahren schon. Ist vielleicht also doch was dran?
Das Rätsel löse ich heute nicht mehr, dafür geht es hinter der Stadt etwas bergab und ich bin schnell wieder draußen.

Als ich dann Nachts irgendwannn mal kurz raus muss, stehe ich unter einem fantastischen Sternenhimmel. Und das trotz 20 km Luftlinie zum Stadtzentrum!

Also die Kamera raus, und ein paar Bilder gemacht. Nein, das sind keine Wolken, das ist die Milchstraße!

In der anderen Richtung kann man sogar die Andromedagalaxie erkennnen, auch mit bloßem Auge. Auf dem Bild ist sie ungefähr in der Bildmitte, auf gleicher Höhe wie das Rohr (das über einen Bewässerungsgraben führt).


Am nächsten Tag suche ich lange nach einem schattigen Platz. Es gibt einfach so gut wie keine Bäume!

„Evakuator“ heißt wohl Abschleppwagen. Und so oft, wie ich Menschen sehe, die vor ihren Autos stehen und in offene Motorhauben blicken, hat das Schild auch seine Daseinsberechtigung.


Ich komme durch eine Stadt, in der jedes zweite Haus am Straßenrand ein Möbelgeschäft ist:

Umzugswagen kann ja jeder!
Und dann finde ich endlich ein Bushäuschen, in dem ich mich etwas vor der Sonne verstecken kann. Währenddessen kommen nach und nach verschiedene Leute und gehen auch wieder. Aber Orhan (diesmal ein anderer als der von gestern) bleibt. Wir unterhalten uns ziemlich lange, wieder mittels Übersetzer-App. Später kommen dann noch Onkel und weitere Verwandschaft mit dem Bus an, noch später verschwinden diese wieder mit einem anderen Bus.

Er lädt mich ein, möchte mir irgendwie helfen, aber da ich heute gerade erst losgefahren bin, möchte ich doch lieber noch einige Kilometer zurücklegen. Er möchte auch nach Deutschland und ich sage, er könne mich gerne besuchen, wenn er mal dort sei! Ob ich ihm auch Arbeit besorgen könne, möchte er wissen. Er tut mir echt leid, aber da kann ich natürlich nichts machen! Er hat zwar einen Job, aber wohl nur zeitlich begrenzt.
Bevor ich losfahre, fragt er mich nochmal, ob ich noch irgendwas brauche. Nein, aber eine Frage kann er mir beantworten! „Gibt es in Aserbaidschan wirklich eine Helmpflicht für Radfahrer?“ Als ich die Geschichte zuvor im Beisein seiner Verwandschaft erwähnt hatte, mussten sie alle lachen. Aber jetzt erklärt er mir, dass es wohl tatsächlich so wäre, zumindest auf den stärker befahrenen Straßen.
Vielleicht sollte ich da ja doch nochmal drüber nachdenken.
Hallo Flo deine Karte aus Georgien ist angekommen! Danke dir LG fabi
Hey Fabi! Yeah! Danke für deine Nachricht hier! Liebe Grüße! Flo