Weitere Aussichten: Wind

Mein ursprünglicher Plan war, die Carretera Austral zu erradeln. Einige Tage Reserve brauchte ich dafür aber, nicht nur, weil man in Villa O’Higgins oft ungeplant festsitzt. Ab El Chaltén würde ich per Bus mit ein paar Zwischenstopps Punta Arenas erreichen, von wo aus ich zurück nach Santiago und dann heimfliegen könnte.

Da ich nun noch etwas mehr Zeit als gedacht habe, und Rückenwind vorhergesagt ist, kann ich auch noch ein Stück radeln.

Beim Frühstück lerne ich Frede und Andrea kennen, ein Paar aus Belgien/der Schweiz. Sie radeln auch, und wir überlegen, wie es weiter geht. El Calafate ist die nächste größere Stadt im Süden, mit dem berühmten Perito Moreno Gletscher.

Nach 90 km gibt es ein „Refugio“ an der Stelle, an der die Straße die Ruta 40 trifft. Da könnte man übernachten.

Meine Wäsche ist früher fertig als befürchtet, nur noch ein bisschen Proviant kaufen und es kann losgehen. Die beiden Berliner Backpacker treffe ich vorher noch mal, um sie vor dem veganen Hippster-Laden zu warnen, aus dem ich gerade komme (wenigstens habe ich jetzt Blaubeer-Müsliriegel – leider standen keine Preise dran) und von ihnen zu hören, dass die beiden Spanier mit dem Rad auf ihrer 7h Wanderung wohl nicht so glücklich dreingeschaut haben, als sie sie getroffen hatten.

Ich liebe diese Begegnungen. Man trifft sich immer wieder und trifft gemeinsam auch dieselben anderen Reisenden. Oft ergeben sich dann sogar gemeinsame Wegetappen.

Auf dem Weg aus der Stadt mache ich an diesem Aussichtspunkt halt und treffe einen Gießener.

Wunderschöne Blicke zurück, mit dem Patagonia-Gebirge im Hintergrund

Einer Gruppe Brasilianer, die gerade Selfies auf der Straße machen, biete ich an sie gemeinsam zu fotografieren. Irgendwie gar nicht so eine schlechte Idee denke ich mir, als ich schon am weiterradeln bin.

Ich könnte versuchen, mein Lieblingsbild von 2018 nachzustellen. Viel Verkehr ist nicht (aber mehr als im Pamir); es könnte gerade so reichen um das Stativ hinzustellen.

Als ich am Einstellen bin, sehe ich in der Ferne einen Radler, den frage ich einfach. Ich winke ihn zu mir und frage, woher er stammt. Aus Italien! Als ich ihm antworte, dass ich aus Deutschland bin, „korrigiert“ er sich, er sei aus Südtirol und wechselt von Englisch auf Deutsch.

Dasselbe Bild mache ich dann noch von ihm mit seiner Kamera. Er radelt schon einige Zeit durch Argentinien und ist gerade auf dem Weg nach El Chaltén.

Er hat nun Rückenwind, ich Gegenwind, kurz vor unserem Treffen hat der Wind gedreht. Vorhersagen sind schwierig, oft stimmen sie nicht

Eigentlich war das ein Video, in dem man eine Idee vom Wind hier bekommt, als Bild wirkt es nicht.

Wenig später treffe ich das Pärchen vom Morgen wieder. Wir treffen uns noch einige Male, zum Glück schlägt sich der Wind wieder auf unsere Seite. Es ist seltsam, während der Fahrt ist es windstill, bleibt man stehen, pfeift es einem um die Ohren.

Die Landschaft ist karg, trostlos, es gibt kein Plätzchen wo es mal Schatten gibt am Wegesrand.

Erst im Refugio:

Es ist ca. 16 oder 17 Uhr. Der Wind steht gut. Für morgen soll sich der Wind aber noch mal verdoppeln und 90° drehen. Das heißt Seitenwind auf dem Stück Richtung Süden. Die letzten 30 km knickt die Straße Richtung Westen ab, da wäre es dann Gegenwind. 64 km/h sagt die Wetterapp. Ok, die ist zwar sehr unzuverlässig hier, aber wenn es stimmt, können wir radeln morgen vergessen.

Mit Frede und Andrea sitze ich im Refugio. Wir haben den gleichen Gedanken. Hier bleiben macht nicht viel Sinn. Es gibt WLAN, aber kein Wasser. Und Morgen wird Radeln schwierig. Also heute noch so viele Kilometer wie es nur geht schaffen.

Insgesamt sind es ca. 220 km von El Chaltén nach El Calafate. Irgendwann fängt der Blaubeerriegel an, bei mir zu wirken:

110 km standen da schon auf dem Tacho. Insgesamt sind es also weniger als eine Vätternrundan. Viel Rückenwind, Blaubeerpower*, und etwas Wahnsinn sind mit von der Partie. Was soll da schon schief gehen? Also beschließe ich einfach, mir auf den letzten 108 km die Müdigkeit noch etwas aus den Beinen zu fahren und noch heute in El Calafate anzukommen.

*Ja ich weiß, das ist das Papier eines Rotbeerriegels. Das Blaubeerriegel-Papier ist mir weggeflogen. Ich nehme meinen Müll generell mit – aber hier hatte ich keine Chance. Wenn weg, dann weg.

Zehn Kilometer weiter kommt ein Hotel, aber auch das würde bedeuten, am nächsten Tag nicht weiter zu kommen. Also nur Wasser und Schokolade auffüllen. Frede und Andrea sind auch schon da.

Noch eine Übernachtungsmöglichkeit, verlassene Häuser, die Windschutz bieten, etwa noch mal 10 km weiter. Aber mit demselben Problem am nächsten Tag.

Guanacos, zwei Stück stehen am Wegesrand, die mich so ablenken, dass ich die Herde, die direkt vor mir die Straße überquert fast übersehe.

Meine beiden Weggefährten radeln deutlich schneller als ich.

Sie wollen irgendwo am See übernachten. Bei mir läuft es super, ich esse mein Sandwich aus dem Hotel eben auf dem Weg bergab mit Rückenwind. Noch 70 km.

Sagte ich bereits, dass es windig ist?

In der Dämmerung sehe ich die Stadt auf der anderen Seite des Sees:

Es ist schon dunkel, als ein Pickup-Fahrer mich fragt: „Need a ride?“ Ich lehne dankend ab, sind es doch nur noch etwaas mehr als 50 km. Außerdem hätte ich dann ja gleich trampen können.

Im gleichen Moment überlege ich aber, ob meine Antwort so gut war. Nur 10 km später fängt mein Bein an, sich zu beschweren und plötzlich bricht auch noch ein Sturm los. Bisher stürmte es nur, als ich anhielt, jetzt drückt der Sturm auch während der Fahrt richtig kräftig, und zwar schräg von hinten. Plötzlich habe ich 50 km/h auf dem Tacho, ich muss anhalten. Die Böen sind viel zu gefährlich.

Ich stehe im Dunkeln auf einer Brücke. Der Wind ist so stark, dass ich nicht stehen kann. Zumindest nicht mit dem Rad zusammen. Ich lege das Rad hin und überlege, was ich tun soll. Schieben ist sinnlos. Es blitzt auch schon hinter mir. Ist das schon der für den nächsten Tag angekündigte Sturm? Ist das nur hier an dieser Stelle auf der Brücke? Entweder muss ich ein Auto anhalten, oder hier übernachten. Es ist erst die zweite Brücke auf der ganzen Strecke, einen anderen Ort mit etwas Windschutz werde ich nicht finden.

Die Bilder sind vom nächsten Morgen. Es ist unfassbar dreckig, Scherben, und ein Kackhaufen, der zum Glück aber so weit im Rohr liegt, dass meine Isomatte gerade so „überdacht“ ist.

Dafür ist es fast windstill hier unten. Ich bin so müde, dass ich direkt einschlafe und bis zum nächsten Morgen nicht aufwache.

Hoffentlich haben Frede und Andrea auch einen einigermaßen geschützten Platz für ihr Zelt gefunden!

Zehn Kilometer radel ich noch bis zur Kreuzung an der die Straße Richtung Westen abknickt, dann muss ich schieben. Der Wind ist zu stark und bläst mir direkt entgegen.

In einer Stunde kommen vielleicht 5 Autos in meiner Richtung vorbei, aber unzählige entgegen. Klar, die meisten sind Touristen, und brauchen von den umliegenden Städten erst mal einige Zeit um hierherzukommen. Es ist gerade mal 7 Uhr 30.

Aber ich habe Glück: Eli und Ronny nehmen mich in ihrem Van mit nach El Calafate. Sie sind Freiburger und Ronny stammt aus Argentinien. Sie reisen hier mit dem Bus von Ronnys Familie. Zu Hause bei ihnen wartet ihr eigener Bus, mit dem sie ihre Reise in den nächsten Monaten in Europa fortsetzen werden, während eines Sabbat Jahrs. Schreibt mir doch mal, wenn ihr wieder zurück seid, dann können wir in Freiburg einen Kaffee trinken und über unsere Reisen plaudern 🙂